Bildung Themen-BlogDie Fähigkeit des Menschen, lernen zu können, ist die Grundlage für Erziehung und Bildung. Beim Erziehungsprozess werden Kinder und Jugendliche durch die pädagogisch Verantwortlichen (Eltern, Erzieher, Lehrer, Jugendleiter) in die Welt der Erwachsenen eingeführt. Sie lernen dabei Regeln, Normen und Verhalten, aber auch selbständiges Denken und Handeln. Der Weg zum Selbstverstehen führt über das Fremdverstehen, d. h. über das Begreifen und Aneignen der umgebenden Welt.
Während Erziehung eher äußere Steuerungsimpulse der Persönlichkeitsentwicklung meint, bezieht sich Bildung wesentlich auf Prozesse und Ergebnisse der individuellen Verarbeitung und Aneignung. Bildung ist im Gegensatz zu Ausbildung bzw. Berufsbildung nicht unmittelbar an ökonomische Zwecke gebunden. Der Erwerb allgemeinbildender Abschlüsse, insbesondere des Abiturs, ist jedoch oft Voraussetzung für den Zugang zu gut bezahlten Berufen. Zum Problem der Konkurrenz von Bildung und Ausbildung äußerte sich Johann Heinrich Pestalozzi folgendermaßen: „Allgemeine Emporbildung der inneren Kräfte der Menschennatur zu reiner Menschenweisheit ist allgemeiner Zweck der Bildung auch der niedrigsten Menschen. Übung, Anwendung und Gebrauch seiner Kraft und Weisheit in den besonderen Lagen und Umständen der Menschheit ist Berufs- und Standesbildung. Diese muss immer dem allgemeinen Zweck der Menschenbildung untergeordnet sein ... Wer nicht Mensch ist, dem fehlt die Grundlage zur Bildung seiner näheren Bestimmung.“ Johann Gottfried von Herders Gedanken ähneln denen von Pestalozzi: „Menschen sind wir eher, als wir Professionisten werden! Von dem, was wir als Menschen wissen und als Jünglinge gelernt haben, kommt unsere schönste Bildung und Brauchbarkeit für uns selbst her, noch ohne zu ängstliche Rücksicht, was der Staat aus uns machen wolle. Ist das Messer gewetzt, so kann man allerlei damit schneiden.“
Da allgemeine Schulpflicht (Deutschland) besteht, werden Bildungsprozesse wenigstens zunächst nicht freiwillig initiiert. Weil in unserer Gesellschaft Wissen verlangt wird, besteht lebenslang ein äußerer Druck, möglichst viele Informationen aufzunehmen. Wissen und Lernen allein ergeben jedoch noch keine Bildung, daher kann auch ein wissensbasierter Bildungskanon nicht mehr sein als ein wichtiges Hilfsmittel der Förderung von Bildung. Friedrich Paulsen äußert sich im enzyklopädischen Handbuch der Pädagogik von 1903 zu diesem Thema folgendermaßen: „Nicht die Masse dessen, was [man] weiß oder gelernt hat macht die Bildung aus, sondern die Kraft und Eigentümlichkeit, womit [man] es sich angeeignet hat und zur Auffassung und Beurteilung des ihm Vorliegenden zu verwenden versteht. ... Nicht der Stoff entscheidet über die Bildung, sondern die Form.“
Demnach ist seit langem klar, dass Schulabschlüsse, die hauptsächlich Lernleistungen prämieren, nur bedingt als Bildungsnachweise tauglich sind.
Eine gute Symbolik für die elementaren Aspekte der Bildung, die im schulischen Unterricht fächerübergreifend erlernt werden (sollen), ergibt sich aus einem gleichseitigen Dreieck, da hier jede Seite gleichberechtigt ist. Die drei Seiten stehen dabei symbolhaft für Wissen, Denken und Kommunikationsfähigkeit. Wissen umfasst dabei die Wissensinhalte (deklaratives Wissen), dass Denken hingegen die unterschiedlichen Strategien des Erkenntnisgewinns wie Problemlösen, Beschreiben, Erklären, Interpretieren usw. Unter Kommunikationsfähigkeit kann in diesem Zusammenhang die Fähigkeit eines Menschen verstanden werden seine Gedanken, Ideen, Thesen usw. anderen transparent zu machen und umgekehrt sich in die Gedankenwelt anderer aktiv hineinzuversetzen. Ein alternatives Bild würde sich ferner durch einen dreibeinigen Hocker ergeben, bei dem jedes Bein für einen der genannten Aspekte der Bildung steht. Ist ein Bein länger (kürzer) als die anderen beiden Beine, dann wird der Hocker in seinem Schwerpunkt instabil. Diese grundlegenden Aspekte der Bildung konstituieren gleichermaßen die Basis für alle weitergehenden Aspekte der Bildung, wie moralisches Denken und Handeln, Kreativität und künstlerische Fähigkeiten oder instrumentelle Fertigkeiten. In diesem Sinne können diese drei Aspekte als Elementarkompetenzen der Bildung bezeichnet werden.
Humboldt schließlich erhebt Bildung zum Programm. Das Bedürfnis sich zu bilden sei im Inneren des Menschen angelegt und müsse nur geweckt werden. Jedem soll Bildung zugänglich gemacht werden. Diese Forderung mündet leider noch nicht in der Umsetzung „Gleiche Bildung für Alle!“. Humboldt erschafft ein mehrgliedriges Schulsystem, in dem jeder nach seinen Fähigkeiten und nach den Anforderungen, die die Gesellschaft an ihn stellt, gefördert wird. Allerdings geht es beim humboldtschen Bildungsideal nicht um empirisches Wissen, sondern immer noch um die Ausbildung/Vervollkommnung der Persönlichkeit und das Erlangen von Individualität. Dieses „Sich-bilden“ wird nicht betrieben, um ein materielles Ziel zu erreichen, sondern um der eignen Vervollkommnung willen.
„Wenn ich mein Sprachgefühl ganz gewissenhaft erforsche, so finde ich dieses: gebildet ist, wer nicht mit der Hand arbeitet, sich richtig anzuziehen und zu benehmen weiß, und von allen Dingen, von denen in der Gesellschaft die Rede ist, mitreden kann. Ein Zeichen von Bildung ist auch der Gebrauch von Fremdwörtern, das heißt der richtige: wer in der Bedeutung oder der Aussprache fehlgreift, der erweckt gegen seine Bildung ein ungünstiges Vorurteil. Dagegen ist die Bildung so gut wie bewiesen, wenn er fremde Sprachen kann [...]. Damit kommen wir dann auf das letzte und entscheidende Merkmal: gebildet ist, wer eine 'höhere' Schule durchgemacht hat, mindestens bis Untersekunda [10. Klasse. Anmerkung des Verfassers], natürlich mit 'Erfolg'.“(Paulsen, 1903)
Und zur Bewertung von Bildung schreibt er weiter:
„Und um über den Erfolg, also über den Besitz der Bildung keinen Zweifel bestehen zu lassen, besteht in Deutschland jetzt allgemein die Einrichtung, daß der Schüler beim Abschluss der Untersekunda geprüft und ihm über die Bildung eine Bescheinigung ausgestellt wird.[...] Damit hätten wir denn auch einen von Staats wegen festgesetzten Maßstab der Bildung: es gehört dazu, was in den sechs ersten Jahreskursen der höheren Schulen gelernt wird;[...]“(Paulsen, 1903)
An der Geschichte des Bildungsbegriffs lässt sich verfolgen, dass dieser im Laufe der Zeit nicht eine, sondern mehrere Konnotationen erhalten hat. Angefangen bei der religiösen Bedeutung über die Persönlichkeitsentwicklung bis hin zur Ware Bildung. Im Deutschen Kaiserreich (1871-1918) findet beispielsweise die entscheidende Wende von humboldt'schen Bildungsinhalten hin zu moderneren Lehrinhalten statt. In heutigen gesellschaftlichen Debatten wird der Bildungsbegriff mit allen diesen Konnotationen zugleich oder in Teilen verwendet, je nachdem, in welchem Kontext die Äußerung steht. Mögliche Kontexte sind zum Beispiel: soziale Abgrenzung, wirtschaftliche Interessen oder politische Ziele. Verallgemeinernd kann eigentlich nur gesagt werden, dass die meisten Definitionen auf den Mündigkeitsaspekt des Begriffs „Bildung“ hinweisen. Zu den Begriffen und Begriffsschöpfungen, die im gemeinten Kontext zur Sprache kommen, gehören Bildungssystem, Bildungsmisere, Allgemeinbildung, Bildungspolitik, bildungsferne Schichten u. a. m. Wie nicht zuletzt die Diskussion um die Pisa-Studie zeigt, werden heute auch die allgemeinbildenden Schulen mit immer größerer Selbstverständlichkeit unter dem Gesichtspunkt der „Optimierung von Lernprozessen im Hinblick auf deren Relevanz für ökonomisch verwertbare Arbeit“ (Ribolits, 13) bewertet.
Obwohl die Antike den Begriff Bildung noch nicht so verwendete wie wir ihn kennen, waren die Ideen, die diesen Begriff prägen sollten, doch schon präsent. Im Griechischen ist der Begriff der Paideia dem Bildungsbegriff sehr verwandt.
In Platons „Politeia“ finden sich im Rahmen seiner Beschreibung der Erziehung zu einem Philosophenkönig - besonders im Höhlengleichnis - Gedanken zur Bildung, die noch unser heutiges Verständnis prägen.
Der deutsche Begriff entstand im Mittelalter, wahrscheinlich als Begriffsschöpfung Meister Eckharts im Rahmen der Imago-Dei-Lehre. Der Begriff ist also theologischen Ursprungs. Bilden wird verstanden als gebildet werden durch Gott, nach dem Abbild Gottes. Die menschliche Seele wird gebildet im Sinne von „nachgebildet“. Bildung ist also ein Prozess, auf den der Einzelne keinen Einfluss hat. Es ist nicht die Aufgabe des Menschen, sich zu bilden. Der Prozess wird von außen an den Menschen herangetragen. Das angestrebte Ziel dieses Prozesses ist in der Schöpfung festgelegt und damit durch Gott bestimmt.
Angesichts der Zerstörungen während des Dreißigjährigen Krieges erhofft sich Comenius eine friedliche Ordnung der Welt daraus, dass Menschen von Kindheit an zu menschlichem Verhalten angeleitet werden. So hält der Begriff Bildung Einzug in die Pädagogik. Das damals verwendete lateinische Wort eruditus („gebildet“, „aufgeklärt“) bedeutet etymologisch <ent-roht>. Solchen Ausgang des Menschen aus seiner ursprünglichen Rohheit erwartet Comenius (288 Jahre vor Ludwig Wittgenstein) von Sorgfalt beim Denken und Sprechen:
Nosse rerum differentias et posse unumquodque suo insignare nomine.
(Ianua linguarum reserata – Eröffnete SprachenThür 1631).
Das im 18. Jahrhundert entstehende neue Menschenbild eines aufgeklärten, in wissenschaftlichen Kategorien denkenden und handelnden Menschen formt auch den Begriff der Bildung um. Durch die Auseinandersetzung deutscher Autoren mit Shaftesbury wird der Begriff säkularisiert. Die theologische Bedeutung weicht einer Bedeutung, die sich der platonischen nähert. Der Mensch soll sich nun nicht mehr zum Abbild Gottes entwickeln, sondern das Ziel ist die menschliche Vervollkommnung. Diese Idee findet sich unter anderem bei Pestalozzi (Abendstunde eines Einsiedlers), Herder (Ideen), Schiller und Goethe (Wilhelm Meister). Immanuel Kant präzisiert in seiner Schrift „Über Pädagogik“ die Aufgabe von Bildung wenn er schreibt:
„Die Pädagogik oder Erziehungslehre ist entweder physisch oder praktisch. Die praktische oder moralische ist diejenige, durch die der Mensch soll gebildet werden, damit er wie ein frei handelndes Wesen leben könne. [...] Sie ist Erziehung zur Persönlichkeit, Erziehung eines frei handelnden Wesens, das sich selbst erhalten, und in der Gesellschaft ein Glied ausmachen, für sich selbst aber einen innern Wert haben kann.“
Waren die Bildungsziele vor der Aufklärungsepoche noch durch Gott gegeben, so sind sie nun bestimmt durch die Notwendigkeit des Menschen in einer Gesellschaft zu leben. Es geht darum die „Rohmasse“ Mensch so zu formen, dass er ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden könne. In diesem Formungsprozess werden vorhandene Anlagen entwickelt. Doch immer noch werden die Bildungsziele nicht durch das Individuum festgelegt, sondern sind Idealvorstellungen die unabhängig vom einzelnen ewige Geltung beanspruchen (vgl. Ideenlehre) und von außen an das Individuum herangetragen werden.
Bildung ist ein sprachlich, kulturell und historisch bedingter Begriff mit einer sehr komplexen Bedeutung. Eine präzise, oder besser noch einheitliche Definition des Bildungsbegriffs zu finden, erweist sich daher als äußerst schwierig. Je nach Ausrichtung und Interessenlage variieren die Ansichten darüber, was unter „Bildung“ verstanden werden sollte, erheblich.
„Bildung verweist auf Bild und damit zurück auf die bis in unser Jahrhundert aufgegriffene Genesispassage (1. Buch Mose, 26 f.), nach der Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat. Gleichzeitig ist es diesem Geschöpf verboten, sich ein Bild Gottes zu machen.“ (Meyer-Drawe, 1999, S. 161.)
Der moderne dynamische und ganzheitliche Bildungsbegriff steht für den lebensbegleitenden Entwicklungsprozess des Menschen, bei dem er seine geistigen, kulturellen und lebenspraktischen Fähigkeiten und seine personalen und sozialen Kompetenzen erweitert. Es kann aber keinen perfekten Menschen geben; individuelle Anlagen, sowie zeitliche, räumliche und soziale Bedingungen, setzen der Verwirklichung eines wie auch immer definierten Bildungs-Ideals Grenzen.
Nach Daniel Goeudevert ist Bildung „ein aktiver, komplexer und nie abgeschlossener Prozess, in dessen glücklichem Verlauf eine selbstständige und selbsttätige, problemlösungsfähige und lebenstüchtige Persönlichkeit entstehen kann“. Bildung kann daher nicht auf Wissen reduziert werden: Wissen ist nicht das Ziel der Bildung, aber sehr wohl ein Hilfsmittel. Darüber hinaus setzt Bildung Urteilsvermögen, Reflexion und kritische Distanz gegenüber dem Informationsangebot voraus. Dem gegenüber steht die Halbbildung, oder, wenn es um Anpassung im Gegensatz zur reflexiven Distanz geht, auch die Assimilation (Soziologie).
Eine alternative Definition findet sich bei Kössler: „Bildung ist der Erwerb eines Systems moralisch erwünschter Einstellungen durch die Vermittlung und Aneignung von Wissen derart, dass Menschen im Bezugssystem ihrer geschichtlich-gesellschaftlichen Welt wählend, wertend und stellungnehmend ihren Standort definieren, Persönlichkeitsprofil bekommen und Lebens- und Handlungsorientierung gewinnen. Man kann stattdessen auch sagen, Bildung bewirke Identität ...“ (Henning Kössler 1989, S. 56).
Während in unserem Alltagsdenken und -handeln der Bildungsbegriff stark mit Begriffen wie „Belehrung“, „Wissensvermittlung“ u. Ä. verbunden ist, haftet seit Wilhelm von Humboldt in der Theorie und der Programmatik „dem Wort Bildung das Moment der Selbständigkeit, also des Sich-Bildens der Persönlichkeit“ an (Hartmut von Hentig). Nach Humboldt ist Bildung die Anregung aller Kräfte des Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen.
Das Wort Bildung selbst ist ein typisch deutsches Wort, es steht in spezifischer Beziehung zu „Erziehung“. Diese in der deutschen Sprache unterschiedlich belegten Begriffe sind im Englischen als „education“ zusammengefasst.
Der Begriff ist ferner abzugrenzen von Begriffen mit denen er umgangssprachlich oft synonym verwendet wird: den Begriffen Wissen, Intellektualität und Kultiviertheit. Der Begriff Bildung schließt allerdings (je nach Interpretation des Bildungsbegriffs in unterschiedlichen Maße) Facetten aller drei Begriffe mit ein. Außerdem besteht eine gewisse Nähe zum Begriff Reife.
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